
Eines Abends in einer dunklen Stunde meiner Seele erfasste mich ein Gedanke, der mein Leben transformieren sollte. Ich war an den Punkt gelangt, dass ich dachte, dass mein bisheriges Leben ein einziger Fehlschlag gewesen war. Ich hatte mich selbst sabotiert und war zu schwach gewesen, etwas Ordentliches aus mir zu machen.
Ich wurde mir zu meinem Erschrecken einer Tendenz meines Geistes bewusst. Es ist die Angewohnheit für eine gewisse Zeit bestimmte Ziele zu verfolgen und dann wieder damit aufzuhören und den Kurs um 180 Grad zu ändern und eine völlig andere Sache zu machen. Damit verbunden war die Unfähigkeit, eine endgültige Entscheidung zu treffen, was letztendlich auch eine Entscheidung ist und wahrscheinlich die schlechteste. Denn es ist wesentlich besser, eine schlechte Entscheidung zu treffen und daraus zu lernen und einen Fortschritt zu machen, als gar keine Entscheidung zu treffen und am Ende mit leeren Händen dazustehen.
An diesem Abend durchbrach ein Gedanke der Wahrheit wie ein Lichtstrahl die Dunkelheit meiner Seele und ich erlangte eine Erkenntnis. Wenn ich so weiter machen würde und mich für nichts entscheide, dann würde ich im hohen Alter auf mein Leben zurückblicken und da wären nichts als abgebrochene Projekte, halbherzige Versuche und alles in allem eine gähnende Leere. Dieser Gedanke erschütterte mich tief in meinem Inneren und für einen Moment verharrte ich in Schockstarre. Dann traf mich die Erkenntnis mit voller Wucht, es ist besser, sich für eine Sache zu entscheiden, auch wenn sie nicht perfekt ist. Es ist besser, etwas Konkretes zu werden und sich in der Welt zu manifestieren, wenn die Alternative darin besteht, alles offenzulassen, sich für nichts zu entscheiden und für immer ein Nichts zu bleiben.
Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hatte einmal gesagt, dass existenzielle Verzweiflung darin besteht, nicht die Person zu sein, die man ist. Ich war zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Schatten meines alten Selbst und das Schlimmste daran war, ich wusste es und es war mein Fehler. Ich konnte noch nicht einmal mein Ego damit füttern, dass ich jemand anderem die Schuld gab. Ich wusste, dass das nur ein billiger Versuch der Selbsttäuschung sein würde, um meinen Stolz zu bewahren. Ich begann mir selbst zu verzeihen, weil ich erkannte, dass die Ängste und Zweifel, die meinen Geist überschwemmten, nur ein Versuch des Egos waren, mich vor Gefahren zu beschützen. Diese dunklen Stunden der Seele sind die tiefsten Momente und gleichzeitig die wertvollsten. Wie Carl Gustav Jung schon sagte, man wird nicht erleuchtet, indem man sich Lichtgestalten vorstellt, sondern indem man sich der Dunkelheit bewusst wird.
Im Folgenden werde ich zwei fundamentale Haltungen zum Leben miteinander vergleichen. Die Haltung des Glaubenden und die Haltung des Zweifelnden.
Zweifeln bedeutet, schlechte Gründe zu finden, damit man nicht tun muss, was der Glaube verlangt. Der Glaube erfordert, ein Risiko einzugehen, einen Sprung ins Unbekannte zu wagen und über allem anderen, der Glaube erfordert Stärke. Es ist beängstigend zu tun, was man glaubt, also ist der Zweifel eine Schwäche, um Gründe zu finden, es nicht tun zu müssen. Damit man nicht tun muss, was Anstrengung und das Aushalten von Schmerzen erfordern würde. Zweifel sind eine Vermeidungsstrategie, aber eine ausgeklügelte Strategie, weil es nach durchdachten Gründen sucht, um seine eigene Feigheit zu rechtfertigen. Diese Gründe zu suchen, etwas nicht tun zu müssen, können hochgradig elaborierte wissenschaftliche Abwandlungen sein oder gigantische philosophische Konstrukte, die heruntergebrochen nichts mehr sind als eine ängstliche Ablenkung, nicht zu tun, was notwendig ist.
Glauben bedeutet, Mut zu haben, dass eine Sache richtig ist trotz der Widrigkeiten. Glauben ist nicht Hoffnung, Hoffnung ist abhängig von äußerer Hilfe, Glauben bedeutet die Überzeugung, dass es trotz, der Schwierigkeiten wert ist, dass trotz der Härte und schieren Unmöglichkeit eines Vorhabens „es besser ist, es zu versuchen und zu scheitern, als es nicht zu tun und zu gewinnen. Das Ergebnis mag dasselbe sein, aber du wirst es nicht sein. Wir wachsen immer mehr durch Niederlagen als durch Siege“ (Søren Kierkegaard)
Philosophie ist die Kunst, schlechte Gründe zu finden für das, was man sowieso schon glaubt. Zweifel geht noch einen Schritt weiter: Es sucht nach schlechten Gründen, um an nichts glauben zu müssen. Der Zweifelnde ist kindisch, er möchte, dass alle Möglichkeiten offen bleiben und entscheidet sich für nichts Konkretes. Sich für etwas Konkretes zu entscheiden würde bedeuten, die tausend anderen fantastischen Träume zu töten. Der Zweifelnde lässt seine Zukunft offen und flüchtet sich in Fantasiewelten, dort „könnte“ und „würde“ er alles erreichen. Am Ende bleibt es ein Traum. Der Glaubende auf der anderen Seite blutet seine Seele in eine Sache und opfert die unendlichen Möglichkeiten für etwas Weltliches, für etwas Anfassbares, für etwas Konkretes. Der Glaubende ist der Überzeugung, dass, wenn er so hart wie möglich an einer Sache arbeitet, bei Definition nur Gutes daraus resultieren kann.
Wenn der Glaubende und der Zweifelnde an einer Kreuzung stehen, dann nimmt der Glaubenden den besten Pfad, der ihm zur Verfügung steht und schreitet mit starken Schritten voran. Der Zweifelnde nimmt keinen Pfad und verbleibt für Jahre an der Kreuzung. Doch sollte für einen kurzen Moment ein Funken Mut über ihn kommen, so nimmt er einen Pfad und schleicht diesen ängstlich entlang, nur um bei dem ersten unheimlichen Knacken von Ästen im dunklen Wald wieder zurückzueilen, um sich selbst zu versichern, es sei der falsche Pfad. Das Knacken der Äste ist der schlechte Grund, den der Zweifelnde bei der ersten Möglichkeit findet, man würde besser sagen, erfindet, um nicht in das Unbekannte vordringen zu müssen.
Der Glaubende dagegen läuft den Pfad immer weiter, auch wenn er nachts das Geheule von Wölfen hört, selbst wenn er sich im Nebel verirrt, selbst wenn er von Mücken zerstochen wird und sich durchs Dickicht kämpfen muss. Der Glaubende weiß, dass die Widrigkeiten seinen Charakter stärken werden. Er entscheidet sich mit seinem ganzen Herzen für einen Pfad, er bündelt seine Energien und handelt so, als wäre es seine letzte Tat und setzt alles auf diesen einen Pfad. Der Glaubende könnte jeden Pfad nehmen und wäre am Ende des Lebens glücklich und zufrieden, denn sein Pfad war nicht der Boden, den er betrat, in der materiellen Welt, sein Pfad war sein Glaube. Der Zweifelnde würde am Ende des Lebens jeden Pfad bereuen. Denn ultimativ zählt es nicht, welchen Pfad man nimmt, sondern mit welcher Einstellung man ihn geht.